Krebs ist ein Arschloch

Krebs ist ein Arschloch, dass wissen wir jetzt bereits. 
Ihr Lieben, die Zeit rennt und rennt und ich wünschte dennoch es sei anders. Was für ein kostbares Gut "Zeit" oder "gemeinsame Zeit" ist, habe ich schnell gelernt. 
In meinem letzten Beitrag habe ich von meiner ersten Chemotherapie gesprochen und davon wie es ist, seine wertvollen Haare zu verlieren. Heute beim erneuten durchlesen meiner Worte ist mir aufgefallen, das es eigentlich "nur" Haare waren und ich zu späteren Zeit mir viel mehr Verluste eingestehen musste.

Gerade die erste Zeit im Krankenhaus war... intensiv. Es war Sommer 2020. Die Freibad Saison wurde bald eröffnet und in unserem Grundstück fing es wie verrückt an zu blühen. Doch wie gesagt, Krebs ist ein Arschloch. 
Ganze sechs Wochen war ich auf Station und teils Intensivstation. Ich kämpfte mich durch Knochenmarkspunktionen, Hirnwasserpunktionen, Ultraschalle und weitere etliche Untersuchungen, nebenbei musste ich noch die medikamentöse Therapie über mich ergehen lassen. Zuckerschlecken war das keins. 
Aber das aller aller schlimmste war die fehlende Zeit mit meiner Familie. Ich hatte meinen kleinen Bruder ewig nicht mehr gesehen und das war einfach nur schmerzhaft, denn man muss wissen, dass wir uns trotz 10 Jahre Entfernung, sehr sehr Nahe stehen.
Das große gemütliche Frühstück am Wochenende oder gemeinsame Unternehmungen fielen erstmal weg. 

Doch dann, ein Lichtblick. Ich durfte endlich in der Chemopause doch nach Hause. Ein unglaubliches Gefühl wieder im eigenem Bett zu liegen mit Bettwäsche, die nicht so streng nach Krankenhaus roch. Essen von Mama und kein Fraß mehr und endlich wieder alle meine Liebsten um mich herum. 
Doch das Gefühl war nur von kurzer Dauer. Wenige Tage später fühlte ich mich kränklich, also krank war ich ja aber so Grippemäßig krank meine ich. Mir lief die Nase, mein Hals kratzte, ich war heiser, hustete und die Erschöpfung schien man mir anzusehen. 
Die nächste Blutkontrolle wies das auf, was ich befürchtet hatte: erhöhte Leukozyten und extrem hohe Entzündungswerte. Bedeutete nichts gutes...
Es wurde sofort erneut ein MRT anberaumt und kurze Zeit später das Ergebnis: der Tumor war wieder gewachsen und die Therapie schlägt nicht mehr an.
Schockstarre...

Ein neuer Plan muss her. Neue aggressive Medikamente und intensive Bewachung, bedeutete, ich startete die neue Therapie auf der Intensivstation. Man sagte uns, das auch diese Medikamente Nebenwirkungen aufweisen oder aufweisen können aber wir nahmen alles in Kauf. Und so begannen weitere vier schreckliche Wochen auf der Intensivstation.

"Weißt du wie du heißt und welcher Tag heute ist?", fragte mich mein Papa. Verschlafen und erschöpft sah ich ihn an, lachte und sagte: "Ich heiße Sally und heute ist Freitag." An dem kurz erschrockenem Blick meines Vaters konnte ich erkennen das irgendwie etwas falsch war was ich gesagt hatte. "Heute ist schon Samstag.", sprach er zu mir. Ungläubig blickte ich drein, hä? Mir fehlten zwei Tage im Gedächtnis... 
Sobald ich das eine von den verschiedenen Medikamenten bekam, sei ich wie weg gebeamt gewesen (Ich nenne aus rechtlichen Gründen keine Namen der Medikamente) und das zwei Tage lang. 
Es müssen grausame Nächte für meine Eltern gewesen sein... Das mir mein Vater auch keinen Humbug erzählte, stellte ich schnell fest. Meine Muskeln waren wie ausgelöscht. Es fiel mir so unheimlich schwer mich überhaupt zu bewegen oder den Kopf anzuheben.

Wenn ich so darüber nachdenke, muss ich erstmal eine Pause einlegen. Es ist viel, viel Negatives passiert dieses Jahr und mich zieht es ehrlich gesagt auch unglaublich runter, wenn ich auf die schlechten Momente zurück blicke.

+++

Aber dennoch ich bin nicht Sally, wenn ich nicht nach vorn schauen würde. Und meine kleine Beschützer - Schildkröte war auch immer an meiner Seite. 
Ein Pfleger gab sie mir damals nach der ersten OP mit den Worten: "Die hat einen dicken Panzer und wird hundert Jahre alt." Seit diesem Tag an, war ich bei keiner Untersuchung oder Operation ohne diese kleine Schildkröte. 

Und durch diese Begegnung mit dem Pfleger habe ich ebenso gelernt: Hinter jedem Verlust steckt ein Gewinn, man muss ihn nur erkennen. 

Ja, es war verdammt hart und schwer wieder auf die Beine zu kommen. Der Weg zum Balkon mit meinen tausend Kabeln und dem Infusionsständer war ein Meilenstein für mich aber dennoch, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, es wurde besser. 
Zu jederzeit hatte ich entweder meinen Vater oder meine Mama an meiner Seite, nicht eine Sekunde war ich allein. 
Um mir den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten, brachten beide früh frische Brötchen oder andere Leckereien mit und der Tag konnte beginnen. 

Step by Step fand ich ins Leben zurück und lernte das Laufen neu. 
Vor der nächsten Chemo Gabe bekam ich ein blaues Medikament was die Nebenwirkungen und Symptome mehr abfederte und mich im Hier und Jetzt behielt. Es war trotz alledem hart. 
Meine Venen haben bis aufs letzte gelitten und ich war heilfroh, als die Operation für die Portanlage bevorstand. 
(In naher Zukunft werde ich euch einige Sachen nochmal erklären, z.B. was ein Port ist usw., wartet auf den nächsten Beitrag :))

Tatsächlich raffte ich mich selbst, durch die Hilfe vieler anderer, wieder auf und durfte auch bald mit dem Rollstuhl nach draußen an die frische Sommerluft. Sogar übers Wochenende durfte ich ein/zwei Nächte im Sonnenstrahl bleiben. 

Dazu ein kurzer Einwand: 
Der Sonnenstrahl e.V. ist ein Verein, der sich um die Familie und Angehörigen der Erkrankten kümmert. Nicht mehr als fünf Minuten Gehweg liegt die Villa von der Klinik entfernt und bietet kleine Elternwohnungen für die Betroffenen an. Dadurch wurde uns ermöglicht immer mindestens ein Familienmitglied um mich herum zu haben. Nächte in den Krankenhäusern sind für Angehörige einfach auch nur purer Stress und so bietet die Villa einen perfekten Unterschlupf. 
Abgesehen von den kleinen Wohnungen wird auch Programm für die Geschwisterkinder angeboten oder Gespräche mit Psychologen. Damit keiner an der Erkrankung des Betroffenen untergeht. Der Sonnenstrahl ist ein unglaublicher Verein und steht eng in Kontakt mit der Klinik. 
Dank dieser Unterkunft konnte meine Familie bei mir sein und mich unterstützen und erlaubte uns auch, kleinere Ausflüge an die Elbe oder ähnliches, da man dann entspannt wieder zurück in seine vier Wände gehen konnte ohne sich sorgen zu müssen. 

Instagram: @sonnenstrahlev

Und diese Kleinigkeiten und Möglichkeiten sind das, was mich stark macht. Das was mich motiviert zu kämpfen. Das Leben ist so schön und es ist einfach viel zu Schade es aufzugeben.

In diesem Sinne, haltet die Ohren steif,

Eure Sally <3

PS: schaut vorbei

Kommentare

  1. Liebe Sally, du bist so eine unglaublich starke und tapfere junge Frau. Dein Bericht berührt mich und meine Familie sehr. Du schafft es, bekämpfe diesen Krebs und gib niemals auf. Du hast eine tolle Familie. Liebe Grüße

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Sally,
    ich finde deine Lebenseinstellung ganz toll und das macht sicher auch anderen sehr viel Mut. Mach weiter so und ich wünsche dir viel Kraft. So kannst du es schaffen. Ich wünsche es dir von ganzem Herzen 💕.
    Ich finde auch, dass du sehr liebe Eltern hast und einen tollen Bruder. Gemeinsam seid ihr stark. Ich denke jeden Tag an dich und drücke die Daumen, dass dein Mut und deine Lebenslust alles wieder gut werden lässt.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Diagnose Krebs und der schlimmste Tag meines Lebens

Der Kampf beginnt